Mündlich erzählte Geschichten teilen gewisse Merkmale mit Lebewesen: Sie haben eine Biografie. Sie können sich durch Raum und Zeit bewegen und dadurch Lebensräume aufsuchen, die für ihre Verbreitung geeignet sind.
Mündlich erzählte Geschichten können sich sehr geschmeidig in unterschiedlichste Kulturen, Zeitalter und Erdteile einfügen. Und wenn sich der Lebensraum zu ihren Ungunsten verändert, verlassen sie ihn mit einer Leichtigkeit, als wären sie nie dagewesen.
Es ist dieser „nomadische“ Aspekt, den wir mit unserer Arbeit betonen wollen, weil wir ihn in unserer eigenen Kultur vermissen. Sie ist eine Kultur der Sesshaftigkeit geworden – in jeder Hinsicht. Unsere größte Bedrohung ist unsere eigene Unbeweglichkeit, unsere zwanghaften Versuche, alles zu fixieren, von Geschichten bis zum Status quo. Doch Geschichten wie Menschen sind Wanderer. Sie halten sich nicht an Grenzen. Manchmal werden sie dafür bejubelt, manchmal ermordet oder totgeschwiegen.
In diesem Sinn verstehen wir uns als Asyl und Gastgeber für mündlich erzählte Geschichten. Wir fixieren sie nicht schriftlich, sondern bewirten sie mit frischen Stimmen, damit sie weiterziehen können – von Angesicht zu Angesicht und von Herz zu Herz, wie die Scottish Travellers zu sagen pflegen.

Kathinka Marcks
war vor allem Zuhörerin, bis sie während ihres Studiums auf La Réunion (F) die Kraft der Geschichten entdeckte. Heute erzählt sie sowohl Literarisches und Biographisches als auch Sagen und Mythen aus der ganzen Welt. Dabei experimentiert sie mit Stimme, Körper und Ausdruck, inspiriert durch Dansexpressie und das Roy Hart Theatre. Interkulturelles und mehrsprachiges Erzählen sind Kathinkas leidenschaftlicher beruflicher Alltag, den sie durch die Organisation von Auftritten, Projekten und Workshops verwirklicht.

Daniel Hoeckendorff
ist ein Spurensucher, der Menschen durch die Wildnis begleitet – sowohl durch die äußere, als auch durch die innere. Als Wirtschaftsingenieur, Projektleiter, Prozessbegleiter, Erlebnispädagoge und Coach hat er in verschiedensten Umfeldern Erfahrung gesammelt. Daniel gestaltet Begegnungsräume zwischen Menschen, Orten und Geschichten, schreibt regelmäßig Beiträge für den Geschichtenblog und organisiert Netzwerkveranstaltungen, Workshops und Seminare für Erzählkunst.
