Des Kaisers neue Kleider

Nomadische Erzählkunst e. V. ist ein gemeinnütziger Verein, in dessen Satzungszwecken die Förderung von Kunst und Kultur verankert ist. Diesen Satzungszweck erfüllen wir hauptsächlich durch die Realisierung (erzähl-)künstlerischer Projekte wie zum Beispiel den Weltgeschichtentag, das Erzählcafé oder das Programm Jagdinstinkt. Der Verein bietet also einen thematischen Rahmen und tritt nach außen als Projektträger auf.  Finanziert wird ein Projekt fast immer aus verschiedenen Quellen und zwar hauptsächlich aus Mitteln der öffentlichen Hand sowie privater Stiftungen.

Die Vergabe öffentlicher Fördergelder auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene wird durch Ausschreibungen bekannt gegeben. Steht eine Projektidee im Raum, kann sich der Verein als Projektträger mit den Förderbedingungen vertraut machen und einen Förderantrag an die entsprechende Institution stellen. Die Anträge werden dort gesammelt und in der Regel von einer Jury bewertet. War die Jury von der Projektidee überzeugt, erhält der Projektträger einen Zuwendungsbescheid, der manchmal auch mit Auflagen oder Nebenbestimmungen verbunden ist. Nach Ablauf des Projekts muss der Projektträger einen Verwendungsnachweis einreichen, um die zweckgebundene und wirtschaftliche Verwendung der Gelder zu dokumentieren.

Private Stiftungen haben, ähnlich wie Vereine, eine Satzung und müssen die darin verankerten Satzungszwecke erfüllen. Dazu werden die Projekte entweder selbst durchgeführt („operativ“), oder Projektträger gesucht und mit Geldmitteln ausgestattet („fördernd“). Interessierte Projektträger können Förderanträge stellen, wenn sich die Ziele ihres Projekts mit den Satzungszielen der Stiftung decken. Auch Stiftungen fordern normalerweise nach Ablauf des Projektes einen Verwendungsnachweis an.

Steht also eine Projektidee im Raum, tritt unser Verein als Projektträger auf. Das bedeutet konkret: Eine Person muss das Kulturmanagement übernehmen, das heißt, die Idee in einen Sinnzusammenhang zu anderen Projekten des Vereins stellen und in Form einer Projektskizze ausformulieren. Dann kümmert sie sich um das Fundraising, also um die Ausstattung des Projekts mit finanziellen Mitteln. Anhand der Projektskizze werden in Frage kommende öffentliche Fördertöpfe und private Stiftungen sowie deren Fristen und Nebenbedingungen recherchiert, eine Kalkulation erstellt und Förderanträge entwickelt.

Das ist der schwierigste Schritt, denn hier steckt der Teufel im Detail: Kaum eine Institution fördert zu 100 Prozent, die Finanzierung muss also aus verschiedenen Quellen, den sogenannten „Drittmitteln“ zusammengestellt werden, wobei die verschiedenen Bedingungen genau geprüft werden müssen. Einige Institutionen fördern zum Beispiel nur, wenn Förderzusagen anderer Institutionen bereits vorhanden sind, wenn die Personalkosten einen bestimmten Prozentsatz der Fördersumme nicht überschreiten oder wenn gewisse Fristen eingehalten werden. Hier kann jede Nebenbedingung zum „Showstopper“ werden. Laufen die ersten Absagen ein, müssen alternative Finanzierungsquellen erschlossen werden. Erfahrung, Improvisationstalent und Frustrationstoleranz sind die Mittel der Wahl, um in diesem Dschungel den Überblick zu behalten.

Wenn die Finanzierung steht, kann das Projekt starten. Eventuelle Terminverzögerungen oder allfällige Änderungen in Umfang und Ablauf müssen mit den Geldgebern diskutiert und abgestimmt werden, die einlaufenden Rechnungen und Belege werden in der Buchführung erfasst und dem Projekt zugeschrieben. Nach Projektende sind Abrechnung, Dokumentation und Erstellung der Verwendungsnachweise nach den Vorgaben der verschiedenen Förderer fällig.

All diese Tätigkeiten können unter dem Begriff „Kulturmanagement“ zusammengefasst werden – was auch in kleinen Vereinen wie der Nomadischen Erzählkunst bei mehreren Projekten zum Vollzeitjob wird. Leider gibt es kaum Förderinstitutionen, die Kulturmanagement oder Fundraising als förderfähige Tätigkeit erachten.
Das heißt im Klartext: Da unser Verein nicht über eigene Mittel verfügt, muss eine Person einen unbezahlten Vollzeitjob ausführen, wenn wir durch künstlerische Projekte unseren Satzungszweck erfüllen wollen.

Hier setzt die Kritik an den Förderinstitutionen an, die sich zwar professionell gemanagte Projekte wünschen, aber nicht bereit sind, das Management zu bezahlen. Immerhin handelt sich dabei um eine komplexe Tätigkeit, die fachliches Know-How erfordert und deshalb auch nicht als Ehrenamt auf viele Schultern verteilt werden kann. Letztendlich tauchen die Kosten dann in getarnter Form in den Projektanträgen wieder auf: Als Administrationskosten, Verwaltungsgebühren, Buchhaltungspauschalen und ähnliches „geschmückt“.

Insbesondere im sozialen und kulturellen, aber auch zunehmend im künstlerischen Bereich werden bevorzugt „innovative“ Projekte gefördert. Der Wunsch nach Entwicklung ist nachvollziehbar, die Förderpraxis führt jedoch paradoxerweise dazu, dass ein Projekt stirbt, sobald sich seine Idee bewährt!
In den meisten Fällen gelingt es dann nach Ablauf des Projektes, noch eine Anschlussfinanzierung für einen weiteren begrenzten Zeitraum zu erhalten, aber die Verstetigung in Form eines dauerhaften Angebots ist auf diesem Weg unmöglich. Das traf uns insbesondere bei der Organisation des jährlichen Erzählkunstfestivals „Weltgeschichtentag“, das unter diesen Bedingungen nur noch durch eine institutionelle Förderung der Stadt Freiburg hätte gerettet werden können – obwohl es sich großer Beliebtheit erfreute. Warum die Verstetigung bewährter Ideen von fast allen Förderinstitutionen abgelehnt wird, ist uns bis heute unverständlich geblieben.

Seit einigen Jahren werden die Forderungen nach wirkungsorientierten Projekten lauter. Das hat eine gewisse Berechtigung, denn Verwendungsnachweise belegen zwar, dass die eingesetzten Gelder zweckgebunden und wirtschaftlich verwendet wurden (Effizienz). Ob das Projekt überhaupt sinnvoll war, und welche Wirkung es im Hinblick auf die Satzungsziele der Förderinstitutionen entwickelt hat (Effektivität), geht daraus jedoch nicht hervor.

Aus diesem Umstand ist im gemeinnützigen Sektor die Notwendigkeit entstanden, sich mit Wirkungsorientierung auseinanderzusetzen. Das setzt natürlich voraus, dass die Wirkung erfassbar und am besten quantitativ messbar ist – was wiederum bedeutet, dass die Projekte während bzw. nach ihrer Durchführung evaluiert werden müssen. Das kann wiederum schnell zur Falle werden.

Einerseits wünschen wir als Projektträger genauso wie unsere Förderer, dass unsere Projekte in der Gesellschaft Wirkung entfalten und wir ein entsprechendes Feedback bekommen. Andererseits ist die quantitative Ermittlung von Wirkung im sozialen und kulturellen Sektor enorm aufwändig. Wenn man die Sache ernst nimmt und neutrale Dritte damit beauftragt, soziologische Analysen durchzuführen, verursacht die Evaluation einen viel größeren Aufwand als das eigentliche Projekt.
Das Analyse- und Beratungshaus Phineo verspricht in seinem „Kursbuch Wirkung“ vollmundig, „dass sich Wirkungsorientierung für gemeinnützige Organisationen jeder Größe und jeden Alters eignet, auch wenn nur wenige Mittel dafür zu Verfügung stehen.“ Phineo wirbt dafür, „Wirkungsketten“ zu konstruieren und Input, Output, Outcome und Impact der Projekte darzulegen, anschließend deren Erfüllung zu messen und dabei einen einheitlichen Berichtsstandard (den Social Reporting Standard – SRS 2014) zu nutzen.

Während der Social Reporting Standard durch seine Struktur noch eine gewisse Hilfestellung bietet, wird die Wirkungsmessung im Alltag oft zur Farce. Wie die Messung der gesellschaftlichen Wirkung eines künstlerischen Projektes mit „wenigen Mitteln“ funktionieren soll, bleibt völlig schleierhaft. Projektträger, die sich dem Druck der Wirkungsmessung nicht entziehen können, tun das Naheliegende: Sie suchen nach quantifizierbaren Größen, die sich leicht ermitteln lassen, wie zum Beispiel die Anzahl der Zuschauenden. Wenn mehr Personen eine Performance gesehen haben, hat sie eine größere Wirkung, so die Argumentation. Das ist allerdings eine bloße Behauptung, die nicht beweisbar ist. Dennoch verschafft sie in grafisch sorgfältig aufbereiteten, standardisierten Projektberichten den Förderinstitutionen die Illusion der gebotenen Sorgfalt. Mehr aber auch nicht. Das ist im Übrigen auch der Grund, weshalb wir von unserer 2021 angekündigten Absicht, künftig in allen Projektarbeiten nach dem SRS 2014 zu berichten, wieder Abstand nehmen.

Um es noch einmal klarzustellen: Wir haben überhaupt nichts gegen Wirkungsorientierung, ganz im Gegenteil! Mit Sicherheit teilen alle Kunstschaffenden die große Sehnsucht, dass ihre Kunst in der Gesellschaft Wirkung entfaltet. Doch nicht für jede Wirkung gibt es ein direktes Feedback und nicht jedes Feedback kann quantifiziert werden.
Wenn wir Kunst und Kultur weiterhin als eine tragende Säule unserer Gesellschaft ansehen, müssen wir die Demut lernen, mit Ungewissheit umzugehen und das alte Paradigma überwinden, dass nur zählt, was sich zählen lässt.

Um mit dem Soziologen und Sozialpsychologen Hartmut Rosa zu sprechen: Zeitknappheit, Konkurrenzdruck, Angst oder Stress sind mit dispositionalen Haltungen der Schließung verbunden, die Resonanz erschweren oder unmöglich machen. Doch mit genau diesen Bedingungen sind wir konfrontiert, wenn wir Projekte im künstlerischen, kulturellen oder sozialen Bereich umsetzen wollen: Sobald wir Fördermittel beantragen, müssen wir im Detail darlegen, was wir bis wann mit wem erreicht haben wollen, welche Wirkung das erzielen wird und wie sich die Wirkung messen lässt.
Indem wir unsere Handlungen auf eine systematische Vergrößerung von Kontrolle, Reichweite und Verfügbarkeit ausrichten, verursachen wir Rosa zufolge unmittelbar jene Entfremdung, der wir durch die Umsetzung unserer Projekte eigentlich begegnen wollten.

Durch angewandte Erzählkunst unterstützen wir Menschen, in ihren Umfeldern Verbundenheit und Kreativität wachzurufen. Wir sammeln und erzählen Geschichten aus verschiedensten Kulturen, die auf na­chhaltigen Denk- und Lebensweisen basieren und suchen je eigene, der lo­kalen Kultur angemessene Wege, die wechselseitigen Beziehungen zwischen Menschen, Orten und Narrativen zu gestalten.

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